In der Fränkischen Schweiz leuchtet die Natur im Sommer dunkelrot. Die Bäume hängen voller Kirschen. Der Anbau hat hier schon seit Jahrhunderten Tradition. Er geht aber zugleich mit der Zeit. Deshalb übertönt 2023 ein neues Geräusch das Summen der Bienen und das Zwitschern der Vögel: Die Rotorblätter einer schwarzen Drohne sirren durch die Luft, verwehen das Gras unter den Kirschbäumen.
Wochenlang haben Fabian Keil und sein Team vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Fürth mit Spannung auf die Kirschblüte gewartet. Seitdem stehen sie regelmäßig auf der Wiese, zwischen Bäumen und Löwenzahn, und beobachten, wie sich die Drohne in Bewegung setzt. Mit ihren acht Kilogramm Gewicht ist sie eher Typ Hummel als Biene. In Halbkreisen fliegt sie an einem Kirschbaum entlang nach oben. An der Drohne ist eine Kamera befestigt. Jede Sekunde macht sie ein Bild des Kirschbaums, jedes Mal aus einer leicht veränderten Perspektive – später soll aus diesen Bildern ein 3D-Modell dieses Kirschbaums werden. Und noch etwas später soll es möglich werden, anhand der Modelle das Wachstum der Kirschen vorherzusagen.
5G-Netz transportiert tausende Kirschbaumfotos
Die vielen Bilder der Drohne werden in Echtzeit gesendet und verarbeitet. Pro Baum entstehen drei bis vier Gigabyte an Daten – also etwa so viel, wie beim Übertragen von einer Stunde Kinofilm durch die Leitungen sausen. Ein 5G-Campusnetz macht die drahtlose Übertragung der Datenmassen möglich. So ein Campusnetz ist ein eigens eingerichtetes, privates 5G-Mobilfunknetz. Die hier eingesetzte Technologie ist transportabel: Die Netztechnik in Form eines Kastens wird auf Rädern einfach auf die Wiese geschoben. „In unseren Versuchen 2023 hat das schon sehr gut funktioniert“, sagt Fabian Keil.
Aus den versendeten Bildern erstellen verschiedene Computerprogramme einen digitalen Zwilling jedes einzelnen Kirschbaums. Dabei hilft Künstliche Intelligenz, indem sie zum Beispiel automatisiert jede einzelne Blüte zählt. Den Zwilling kann man sich zum einen bildlich vorstellen, als 3D-Visualisierung, mit Stamm, Blättern und Kirschen. Und zum anderen als eine Art Datenbank, aus der sich ablesen lässt, wie groß der Baum ist, wie groß er im vergangenen Jahr war, wie dick sein Stamm ist und wie viele Blüten er an seinen Ästen trägt. Und am Ende auch, wie viele Kirschen an ihm wachsen und geerntet werden.
Digitale Baumbeobachtung erleichtert Bauern die Arbeit
„Wir wollen mit unserer Arbeit zur Digitalisierung der Landwirtschaft beitragen“, sagt Fabian Keil, der das Projekt For5G leitet. „Das ist eine Anwendung, die den Bauern hilft. Sie können früh abschätzen, wie ihre Ernte ausfallen wird.“ Irgendwann, so die Vision, könnte ein Obstbauer in einer App auf seinem Handy kontrollieren, wie es seinen Kirschbäumen geht. Ob sich die Knospen schon geöffnet haben und der Nachtfrost sie und damit seine Ernte bedroht; und ob er eingreifen muss, zum Beispiel mit einer Frostschutzberegnung oder kleinen Feuern, sogenannten Frostschutzkerzen.
Uni Erlangen-Nürnberg forscht am stromsparenden 5G
Am Kirschbaumprojekt For5G arbeiten neben dem Fraunhofer IIS auch Annika Killer von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Lukas Meyer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit September 2021 läuft das Projekt für insgesamt drei Jahre. Auch 2024 haben die Forscherinnen und Forscher also die Gelegenheit, den Kirschblüten beim Blühen und den Kirschen beim Wachsen zuzusehen – und die Bäume dabei zu fotografieren und digital zu vermessen. „Für Obstbauern ist 5G eine enorme Erleichterung. Sie können mit der Drohne über ihre Bäume fliegen und müssen nicht täglich zu jedem einzelnen Baum gehen“, sagt Annika Killer, die Gartenbau studiert hat und seit Januar 2023 das Projekt begleitet.
Wissenschaftler sammeln Daten – von Hand und automatisiert
Ihre Aufgabe ist es, den „Jungs mit der Drohne“, wie sie die Wissenschaftler manchmal nennt, das Wissen über Bäume im Allgemeinen und Kirschblüten im Speziellen nahezubringen. Und die Daten zu liefern, mit denen sie kontrollieren können, ob die Drohne und die Computerprogramme gut arbeiten. An fünf Bäumen hat das Team jeweils sechs Äste mit bunten Papierstreifen markiert. Und an diesen Ästen hat Annika Killer im März die Knospen gezählt, Stück für Stück. 620 waren es bei Kirschbaum Nummer 1.
Wenn sie die Blüten zählt, umfasst sie ein Büschel nach dem anderen beinahe zärtlich, zählt und trägt die Zahlen auf einer Skizze ein. 1.523 Blüten trägt Kirschbaum Nummer 1 an den sechs markierten Ästen. Im Juni und Juli zählte sie dann die Kirschen, die der Baum trägt. Und diese Zahlen werden in einem späteren Schritt mit den Ergebnissen verglichen, die Drohne, Künstliche Intelligenz (KI) und Software erzeugen. „Wir wollen das Zählen automatisiert hinbekommen. Um zu wissen, wie gut das funktioniert, brauchen wir die Referenzwerte von Annika“, erläutert Andreas Gilson vom Fraunhofer IIS, einer von den „Jungs mit der Drohne“.
Mit vielen Daten wird die Kirschen-KI trainiert
Es ist eine komplexe Aufgabe, denn jede Knospe und jede Blüte wird mehrfach fotografiert, manch eine Kirsche verschwindet hinter den Blättern des Baumes. Und erst einmal muss die Künstliche Intelligenz lernen, was ein Ast ist, was ein Stamm, was eine Blüte. „Für das menschliche Auge ist das intuitiv“, sagt Gilson. „Aber für den Computer sind das alles nur Punkte.“ Und Projektleiter Fabian Keil fügt hinzu: „Jede Knospe, jede Blüte und jeder Baum ist unterschiedlich. Wir müssen das neuronale Netzwerk trainieren und dem Computer so das Zählen beibringen.“
Mittelpunkt des Projektes For5G, das vom Bundesdigitalministerium gefördert wird, ist die Versuchsfläche des Obstinformationszentrums Fränkische Schweiz in Hiltpoltstein. Das Zentrum gehört zum Landkreis Forchheim. Seit fast 50 Jahren probiert es aus, was im Kirschenanbau funktioniert und was nicht – an momentan 700 Kirschbäumen. Neue Sorten, Beschnitt, Frostschutz – „wir können hier viel ausprobieren, bevor es der Landwirt auf seinen Flächen macht und daran scheitert“, sagt Andreas Rösch vom Landratsamt Forchheim.
Landkreis Forchheim ist Heimat für 200.000 Kirschbäume
Warum sie das alles machen, kann Rösch gut einordnen: „In Zeiten des Klimawandels wird das Wetter unberechenbar. Wir wollen die Obstbauern in ihrer Arbeit unterstützen“, sagt der Fachbereichsleiter Wirtschaft und Infrastruktur. Keine Obstsorte steht so sehr für die Fränkische Schweiz wie die Kirsche – rund 200.000 Kirschbäume wachsen hier, jedes Jahr werden zwischen 1.000 und 8.000 Tonnen geerntet. Die Kirsche hat nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung, die Streuobstwiesen gehören auch zum Kulturlandschaftsgut. Das Projekt For5G leistet langfristig auch einen Beitrag, diese besondere Landschaft zu schützen und für Touristen erlebbar zu machen.
Das Interesse der Bauern sei hoch, erzählt Rösch: „Digitalisierung ist ein großes Thema in der Landwirtschaft. Aber sie im Obst- und Weinbau umzusetzen, ist herausfordernd.“ Natürlich ist das Modell, an dem die Forschungsgruppe arbeitet, am Ende nicht nur für Kirschbäume geeignet – auch Apfelbäume, Zwetschgenbäume oder Birnbäume könnten digital erfasst und der Obstanbau insgesamt effizienter werden.
Drohne, 5G und KI ermöglichen Prognosen zur Ernte
Franz Uhrmann vom Fraunhofer IIS startet die Drohne, lässt sie während ihres automatisierten Flugs nicht aus den Augen, kontrolliert über einen Bildschirm, ob die Kamera richtig eingestellt ist, die Bilder die nötige Qualität haben. „Unser Ziel ist, dass wir anhand unserer Daten vorhersagen können, wie viele Kilogramm Kirschen geerntet werden“, sagt Projektleiter Fabian Keil.
2023 lernte das Team vieles dazu. So muss die Drohne ausreichend Abstand zum Baum haben, weil sonst der Abwind der Rotoren die Bildaufnahmen verfälscht. 2024 wollen die Forscherinnen und Forscher die Aufnahmen beschleunigen. „Wir nehmen vielleicht etwas zu viele Daten und zu viele Details auf“, meint Keil, „Mein Ziel ist, weniger Daten pro Baum aufzunehmen, aber viel schneller mehr Bäume zu erfassen.“ Dann könnten Drohne und 5G-Netz nicht nur auf einer Plantage arbeiten, sondern zahlreichen Obstbauern mit Ernteprognosen helfen.