Norina Ackermann hat ihre Leistung genau im Blick. In wenigen Wochen wird die adidas-Mitarbeiterin einen Halbmarathon laufen. In ihrer Freizeit joggt sie viel, die anspruchsvollen 21,0975 Kilometer läuft sie aber erst zum zweiten Mal.
Norina Ackermann hat auch just in diesem Moment ihre Leistung im Blick. Denn auf dem Ärmel ihrer weißen Trainingsjacke leuchtet ein Display, das ihre Zeit und die Geschwindigkeit anzeigt. Die Jacke ist ein Prototyp. Mit Einzelstücken wie diesem testet adidas im mittelfränkischen Herzogenaurach 5G-Mobilfunk, der direkt in die Kleidung integriert ist.
5G-Jacke macht Fitness-Tracker und Handy überflüssig
Bei Ackermanns regulären Trainingseinheiten an der frischen Luft dürfen zwei Dinge nicht fehlen: „Ich trage ein Fitnessarmband, um meine Leistung zu verfolgen. Und ein Handy habe ich immer dabei, falls ich Hilfe brauche“, sagt sie. Beide Geräte soll die 5G-Jacke künftig ersetzen – zumindest beim Laufen.
Technisches Herzstück der 5G-Jacke ist ein sogenannter Pod. In diesem Minicomputer stecken die 5G- und GPS-Antennen. Bei Norina Ackermanns Jacke ist der Pod oben am Rücken angebracht – weil Tests gezeigt haben, dass er dort beim Tragen der Jacke nicht stört. Ein Strom- und Datenkabel im Textil verbindet den Pod mit dem LED-Display auf dem linken Ärmel. Es reagiert auf Berührungen. Die Elektronik stammt vom Unternehmen Megatec aus der Oberpfalz.
„5G Connected Sport“ zeigt Möglichkeiten und Grenzen auf
Ackermann setzt ihr Training auf dem Laufband des Testlabors fort, Burkhard Dümler und Franziska Seehausen kommen dazu. Der studierte Informatiker Dümler, die Interaction- und Materialdesignerin Seehausen und die Materialwissenschaftlerin Ackermann arbeiten gemeinsam im Innovationsteam des adidas-Konzerns. Dümler leitet das Projekt „5G Connected Sport“, das vom Bayerischen Wirtschaftsministerium finanziell gefördert wurde. Seehausen ist für Konzept, Textilintegration und Tests mit Nutzerinnen und Nutzern verantwortlich. Die Vision im Detail:
- Eine 5G-vernetzte Jacke wird Fitnessdaten erfassen und senden, ohne dass ein Smartphone oder eine Smartwatch dazwischengeschaltet ist. Auch das Empfangen von Daten ist denkbar – zum Beispiel Musikstreaming aus dem Internet über die Jacke und Bluetooth direkt ins Ohr der Läuferin oder des Läufers.
- Sie wird das Laufen, Wandern oder Klettern sicherer machen. Wer nach einer Verletzung Hilfe braucht, kann direkt über die Jacke einen Notruf absetzen. Vor allem Frauen suchen Sicherheit beim Outdoor-Sport. Seehausen verweist auf eine Umfrage der Zeitschrift „Runner’s World“: Demnach laufen drei Viertel der Frauen mit Handy, um sich vor Belästigungen zu schützen. Fast ebenso viele sagen vorab Bescheid, wohin sie laufen, um auch im Falle einer Sportverletzung gefunden zu werden. Interne Tests bei adidas bestätigten dies, sagt Seehausen: Nur 4 von 35 Teilnehmerinnen haben keine Angst, wenn sie joggen gehen. Die Mehrheit der Frauen möchten eine Notfallfunktion, die entweder eine Notfallbehörde (26) oder eine zugewiesene Kontaktperson (25) kontaktiert. Dabei sollte die Interaktion möglichst einfach und intuitiv sein.
- Die Jacke wird zugleich eine Antwort auf die „große Sorge unserer Zeit“ sein, wie Dümler sagt: den leeren Akku des Smartphones. Denn das endgültige Ziel ist Kleidung, die kaum Energie verbraucht und sich sogar selbst auflädt.
Uni Erlangen-Nürnberg forscht am stromsparenden 5G
Mit dem Fokus auf Energiesparen hat die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg an der 5G-Jacke mitgearbeitet. Wissenschaftler Florian Irnstorfer erläutert, dass die 5G-Technologie für den Einsatz innerhalb der Kleidung attraktiv ist, weil sie kompakt ist und bereits sehr effizient zu betreiben. „Niemand möchte andauernd seine Kleidung aufladen müssen. Deshalb haben wir insbesondere an Lösungen geforscht, die den Energieverbrauch so gering wie möglich werden lassen“, sagt Irnstorfer.
Prof. Georg Fischer ergänzt, dass die Datenverbindung zwischen Kleidung und Internet ohne ein Handy dazwischen nur mit 5G möglich ist. Die Forscher und das adidas-Team nutzen dafür Narrowband IoT und LTE-M: Beide Namen bezeichnen spezielle Mobilfunktechnologien für das „Internet der Dinge“, die auch Teil des 5G-Standards sind. Mit dem „Internet der Dinge“ sind Gegenstände gemeint, die mit dem Internet verbunden sind, wie etwa die Jacke.
Die Hoffnung: bessere Batterien, noch weniger Verbrauch
Die bisherige Forschung hat gezeigt: Bis 5G-Kleidung praxistauglich ist, muss die Technologie noch energieeffizienter werden. „Der schwierigste Moment ist das Einwählen des Modems in das Mobilfunknetz“, erläutert Dümler. „Das verbraucht für eine kurze Zeit so viel Strom, dass die kleine Batterie es nicht packt.“ Es gibt hier schlicht ein Platzproblem. In Sportkleidung – egal ob Jacke, Hose oder Schuh – muss jedes zusätzliche Element winzig klein und federleicht sein. Die Batterie ist noch zu groß beziehungsweise der Energiebedarf noch zu hoch.
Forschungsteam plant eine App für Routenplanung
Ab wann gibt es 5G-Kleidung von adidas zu kaufen? Burkhard Dümler mag sich hier nicht festlegen. Er blickt gespannt auf die weitere Entwicklung des 5G-Mobilfunkstandards: „Wir müssen jetzt abwarten, bis sich einzelne Technologien verbessern. Aber genau dafür ist Forschung da: um aufzuzeigen, an welchen Stellen es fehlt.“ Ideen und Visionen gibt es genug. Dümler denkt zum Beispiel darüber nach, die Mobilfunkantenne in Form von leitfähigem Textil über die ganze Jacke zu verteilen. Dieses Antennen-Spinnennetz könnte die Mobilfunkwellen besser einfangen. Dies alles muss stabil sein, waschbar und nicht zu teuer.
Auch 5G-Schuhe hätten einen konkreten Nutzen
Parallel arbeiten Teams an Turnschuhen, die aus Bewegungsenergie Strom für den eigenen Bedarf produzieren. Das wäre für die Sportmedizin interessant: „Ich stelle mir vor, dass sich ein genesener Sportler den Schuh vom Arzt oder Therapeuten ausleiht“, sagt Dümler. „Der Schuh zeichnet einige Kilometer lang das Laufverhalten auf, sendet diese Daten über 5G direkt zum Arzt. Und der kann den Schuh reinigen und direkt weitergeben, denn die Batterie ist immer voll.“
Burkhard Dümler hörte vor einiger Zeit wegen einer Verletzung mit dem Laufen auf. Den ersten Anwender für einen 5G-Schuh kennt er also schon: sich selbst.