Ein Radfahrer ist schwer gestürzt. Der Rettungswagen kommt, zwei Notfallsanitäter legen den Verletzten auf eine Rettungsliege. Sie untersuchen ihn, tasten ihn ab, am Kopf, an der Wirbelsäule. Und machen eine Ultraschalluntersuchung – mit einem Gerät, so groß wie eine Fernbedienung und mit einem Smartphone. Die Bilder werden aus dem Fahrzeug in Echtzeit in das aufnehmende Krankenhaus übertragen, die beiden Sanitäter besprechen mit einer Ärztin die nächsten Schritte. Die Ärztin weiß nach der Video-Liveschaltung, auf was sie sich in der Notaufnahme vorbereiten muss. Die Behandlung des Patienten beginnt, obwohl er noch weit entfernt ist.
Sanitäter senden von unterwegs Ultraschallbilder in die Klinik
Ein Szenario, das so bislang nicht möglich war. Mobile Ultraschallgeräte gibt es zwar schon länger, aber das erforderliche Mobilfunknetz nicht. Mit der fünften Mobilfunkgeneration 5G wird es künftig möglich sein, große Datenmengen beinahe ohne technische Verzögerung von unterwegs zu übertragen. „Im Moment können wir im Krankenwagen anhand der vorgefundenen Situation nur Verdachtsdiagnosen stellen“, sagt Notfallsanitäter Gabriel Hümmer vom Kreisverband Weiden und Neustadt a. d. Waldnaab des Bayerischen Roten Kreuzes. „So ein Gerät mit 5G-Anbindung in Kooperation mit dem Krankenhaus zu nutzen, gäbe uns völlig neue Möglichkeiten in der bildgebenden Diagnostik und im Bereich der Erstversorgung und Präklinik.“
Die beschriebene Szene spielt auf dem Campus Weiden der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden. Der Radfahrer, Venkata Sai Prithvi Raj Thipparaju, ist nicht verletzt und eigentlich wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen und Gesundheit. Die vermeintliche Ärztin, Anna-Lena Dahmen, ist seine Kollegin und sitzt im Hochschulgebäude, nur 60 Schritte vom Krankenwagen entfernt. Echt ist aber die Übertragung der Bilddaten mittels 5G-Technologie. Sie funktioniert – zumindest schon hier auf dem Campus.
Hochschule nutzt in Weiden ein eigenes 5G-Netz
Das interdisziplinäre Team um Prof. Dr. Steffen Hamm hat dazu im Jahr 2021 zwei 5G-Antennen auf das Dach der Mensa bauen lassen. Rund zwei Dutzend kleinere Antennen hängen in regelmäßigen Abständen an den Decken im Hochschulgebäude: Es sind unauffällige weiße Boxen. Zusammen bilden sie ein 5G-Campusnetz, also ein eigenes 5G-Mobilfunknetz, das nur die Hochschule nutzt. Mit dessen Hilfe können große Datenmengen schnell übertragen werden, es können sehr viele Endgeräte und Nutzer eingebunden werden und die Gefahr von Ausfällen ist deutlich geringer als mit 4G-Mobilfunk (LTE) oder WLAN.
„Das, was wir hier testen, ist eins zu eins übertragbar in die reale Welt“, sagt Hamm. „Wir arbeiten nicht im Elfenbeinturm. Was wir hier tun, machen wir für und mit den Gesundheitsversorgern in der Region.“ Das Projekt 5G4Healthcare ist eines von sechs Forschungsprojekten im 5G-Innovationsprogramm des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Das Team um Professor Hamm will herausfinden, wie sich die medizinische Versorgung im ländlichen Raum mithilfe von 5G effektiver und effizienter machen lässt.
5G verbessert ärztliche Versorgung auf dem Land
Ein weiteres Anwendungsgebiet von 5G in der Gesundheitsversorgung ist die Untersuchung von Patienten zu Hause, etwa nach einer Knieoperation. Um zu sehen, ob die Verletzung gut heilt, muss ein Patient keine weiten Wege ins Krankenhaus fahren. Eine entsprechend geschulte Kraft kommt zum Hausbesuch und überträgt Bilder eines mobilen Ultraschallgeräts, ähnlich wie bei der Situation im Rettungswagen, mittels 5G live zu einem Arzt oder einer Ärztin ins Krankenhaus.
Petra Thomas aus dem Team der Hochschule demonstriert auf dem Uni-Campus, wie es künftig funktionieren könnte: Während der Knieuntersuchung telefonieren Patient, Fachkraft und Ärztin miteinander über Video. Die Ärztin erstellt anhand der Ultraschallbilder eine Diagnose und bespricht das weitere Vorgehen direkt mit dem Patienten. „Das spart dem Patienten möglicherweise eine Fahrt ins Krankenhaus und Wartezeit. Und die Abläufe im Krankenhaus macht es auch effizienter“, sagt Petra Thomas. Sie weiß, wovon sie redet: Thomas hat selbst viele Jahre als Krankenschwester in einem Krankenhaus gearbeitet. In dem Hochschulprojekt arbeitet sie, weil sie einen kleinen Beitrag dazu leisten will, die Gesundheitsversorgung in ländlichen, oft strukturschwachen Regionen aufrechtzuerhalten.
Digitalisierung ist auch Antwort auf den Fachkräftemangel
„Wir wollen nicht die Pflegekräfte überflüssig machen“, betont der Ökonom Steffen Hamm. Der Einsatz von Technologie sei ein probates Mittel, um mit dem Fachkräftemangel im Pflegebereich umzugehen. „Es fehlt Personal. Und dieses Problem müssen wir angehen.“ Richtig eingesetzt, helfe Technologie dabei, dass Pflegekräfte Zeit haben, das zu tun, was sie tun wollen: mit den Menschen arbeiten.
Deswegen testen sie an der OTH Weiden auch fahrerlose Transportsysteme, die Hindernisse von sich aus erkennen und automatisch umfahren. Die Systeme können zum Beispiel Verbrauchsartikel, Wäsche oder das Mittagessen durch das Krankenhaus zu den Stationen fahren. Dies würde Mitarbeitende körperlich entlasten und ihnen Zeit ersparen. Auch Trackingsysteme gehören zum Krankenhaus der Zukunft. Pflegekräfte könnten mit ihrer Hilfe freie medizinische Geräte finden – ohne erst lange danach suchen zu müssen. All diese Anwendungen sind mit der 5G-Technologie verknüpft. Sie macht diese Zukunftsszenarien erst möglich, indem sie viele Endgeräte einbinden und große Datenmengen schnell übertragen kann.
Den einen Fall, in dem 5G alles besser macht, den gibt es nicht; auch das haben sie in dem Projekt über 5G-Technologie im Gesundheitswesen gelernt, sagt Hamm. „Die Vorteile von 5G zeigen sich in der Gesamtheit. Die 5G-Technologie entfaltet ihr Potenzial, wenn sie genug gefordert wird.“ Für Kliniken sei 5G sinnvoll, wenn es mehrere Anwendungsfelder gebe, mit vielen Geräten und hohen Datenmengen. „Gerade in der ländlichen Region, wo die tatsächliche medizinische Versorgung immer schwieriger wird, wäre eine digitale Versorgung sehr wichtig, mit der dazugehörigen Infrastruktur“, sagt Hamm.
Noch ist der 5G-Rettungswagen ein Test
Der Testlauf mit dem Rettungswagen ist nach zwei Stunden vorbei, Notfallsanitäter Gabriel Hümmer und sein Kollege räumen im Rettungswagen auf und fahren los, zurück zu den echten Patienten, die wirklich Hilfe benötigen. Das mobile Ultraschallgerät lassen sie an der Hochschule. Sie würden es gerne nutzen. Noch fehlt ihnen das flächendeckende 5G-Netz. Gabriel Hümmer und sein Kollege hoffen, dass sich das bald ändert.
Infokasten: Vier weitere 5G-Anwendungen für die Medizin
5G-Technologie kann die medizinische Versorgung in vielen Bereichen verbessern. Was die Wissenschaftler in Weiden außerdem testen:
- 5G-vernetzte Roboter, die mithilfe von UV-Strahlen Operationssäle, Gänge und Patientenzimmer desinfizieren
- Roboter, die ältere Menschen animieren, sich zu bewegen
- Sensoren für Seniorenheime: Sie geben Alarm, wenn nachts ein Bewohner aufgestanden ist und nach einer definierten Zeit noch nicht wieder im Bett liegt. Das könnte bedeuten, dass er gestürzt ist und allein nicht mehr aufstehen kann.
- Virtual-Reality-Brillen für Studierende im Gesundheitsbereich: Im virtuellen Raum sehen sie ein Skelett vor sich und können alle 206 Knochen einzeln greifen, betrachten und wieder an ihren Platz legen.